Politische Bildung ist Demokratiebildung – ein Leben lang

Angesichts des schwächer werdenden gesellschaftlichen Zusammenhalts in unserem Land und der weltweiten Bedrohung freier demokratischer Gesellschaften bleibt es wichtig, dass Bürgerinnen und Bürger Debatten führen zur Zukunft unserer Gesellschaft und sich für eine stabile demokratische Gesellschaftsordnung engagieren.” (Zitat aus “Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland”)

Ein Bericht von Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing

Staaten mit einer funktionierenden Zivil- und Bürgergesellschaft stehen besser da. Das zeigt der weltweite Vergleich schon auf den ersten Blick. Und bei näherem Hinsehen wird deutlich: Es ist das Lebenselixier einer Demokratie – mit unstrittigen Werten: Menschenwürde, Menschenrechte, Toleranz. Die politische Kultur fördert die Beteiligung. Sie zielt auf Ausgleich und Konsens – und sorgt für sozialen Frieden. Eine Garantie für dauerhafte Stabilität gibt es jedoch nicht. Das zeigen Entwicklungen, die schon vor der Corona-Pandemie sichtbar waren, aber durch sie eine massive Verstärkung erleben – auch in Demokratien. Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus bedrohen den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Und noch eines hat die Pandemie gezeigt: Bildung ist und bleibt der Schlüssel diese Krise zu überwinden und idealerweise gestärkt aus ihr hervorzugehen. Möglich wird dies nicht nur durch die schulische, sondern auch durch außerschulische Bildung. Der politischen Bildung und ihren Anbietern – darunter auch den Kirchen – kommt in diesem Kontext eine besondere Rolle und Verantwortung zu. Sie sind der Kompass unserer Gesellschaft, der Orientierung möglich macht.
Politische Bildung ist Demokratiebildung“ heißt es deshalb treffend im 16. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (S. 128). Politik wird darin begriffen als „die Gesamtheit der Aktivitäten und Strukturen, die auf die Herstellung, Durchsetzung und Infragestellung allgemein verbindlicher und öffentlich relevanter Regelungen in und zwischen Gruppierungen von Menschen abzielt“ (S. 108). Da es um Macht geht und das Gemeinwohl im gesellschaftlichen Konsens entwickelt werden muss, braucht es Kompetenzen, um konfliktfähig zu sein. Politische Bildung schafft genau hierfür die Voraussetzungen.

Im 16. Kinder- und Jugendbericht heißt es dazu: „Politische Bildung ist ein von Subjekten – in diesem Kontext von Kindern und Jugendlichen – getragener Prozess der Herausbildung von Mündigkeit, der sich an demokratischen Grundwerten wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, Gleichheit, Frieden, Solidarität, Emanzipation und Freiheit orientiert. Politische Bildung fördert das Vermögen, die politische Wirklichkeit im Hinblick auf die Durchsetzung demokratischer Prinzipien kritisch und reflektiert zu beurteilen. Sie entwickelt die Fähigkeiten zur politischen Partizipation und zur Gestaltung von Demokratisierungsprozessen. Im Unterschied zu anderen Formen politischer Erziehung ist politische Bildung damit weder affirmativ noch neutral“ (S. 527). Dieser Hinweis ist von grundlegender Bedeutung und gilt keineswegs nur für Kinder und Jugendliche. Die Entwicklung kritischer Urteilskraft – selber denken lernen –, das ist auch das Ziel lebenslangen bzw. lebensbegleitenden Lernens.

Dass Bildung Prozesse der Selbstbildung initiiert und auf Mündigkeit ausgerichtet ist, war jedoch nie unumstritten. Der Blick auf Autokratien und Diktaturen liefert den Beleg. In solchen Strukturen wird alles unternommen, zu delegitimieren, was die Mündigkeit fördert: So werden die Justiz, die Medien, die Zivilgesellschaft eingeschränkt und destabilisiert.

Politische Bildung ist das Handwerkszeug, das Menschen in die Lage versetzt, sich zu engagieren und mitzureden. Diese Strukturen sind nicht nur unter Druck, weil es regelmäßig zu Vorstößen etwa aus dem rechtsextremen Spektrum kommt, diese mit einem Verweis auf ein falsch verstandenes Neutralitätsgebot in Frage zu stellen. Politische Bildung kostet auch Geld. Und deshalb geraten ihre Träger immer mehr unter Druck, Strukturen vorzuhalten, die dauerhaft und umfassend funktionsfähig sind.
Politische Bildung ist jedoch eine schulische und außerschulische Daueraufgabe, deren Angebote langfristig, nachhaltig und flächendeckend vorhanden sein müssen“, sagt Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, im Interview (DJI Impulse, 1/21, S. 13). Die von Krüger beschriebene „Stärkung von Mündigkeit und Resilienz“ (S. 13) braucht die auskömmliche Dauerfinanzierung.

Neben dieser kontinuierlichen Arbeit ist über die Jahrzehnte das Bewusstsein gewachsen, anlassbezogene Förderungen zu initiieren – zur Extremismus- und Radikalisierungsprävention. In Zeiten knapper werdender Mittel gibt es Anlass zur Sorge, dass sich der Akzent verschieben könnte: hin zu Instrumenten der Gefahrenabwehr. So wichtig diese Projekte sind, sie wirken nur als Ergänzung, nicht aber als Ersatz. Eine funktionsfähige Zivilgesellschaft braucht beides.


Einen Link zum Veranstaltungsprogramm der Evangelischen Akademie Tutzing finden Sie hier

Buchtipp:

Titel: Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland – Aufbrüche, Umbrüche, Ausblicke

Verlag: Erschienen im transkript Verlag, Bielefeld (Teil der Reihe: Edition Politik; 111 ); April 2021, Seiten 187

ISBN 978-3-8376-5654-1

Kostenlos abrufbar als E-Book (PDF), Open Access unter folgendem Link: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5654-1/zivilgesellschaft-in-der-bundesrepublik-deutschland/?number=978-3-8394-5654-5

Inhalt:

In der Zivilgesellschaft kommt die Pluralität einer Gesellschaft zum Ausdruck”, stellt der Politologe Edgar Grande fest. Gemeinsam mit der Freundeskreisvorsitzenden und Kulturberaterin Brigitte Grande sowie Akademiedirektor Udo Hahn hat er gerade den Band “Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland” herausgegeben. Darin geht es um die Zivilgesellschaft und um das, was sie leisten kann, darf und muss. – Die Autoren nehmen Schlüsselakteure wie Gewerkschaften, soziale Bewegungen und Kirchen in den Blick und fragen nach ihrer Rolle in den Aufbruch- und Umbruchphasen der Bundesrepublik. Denn der wirtschaftliche Wiederaufbau, die gesellschaftliche Demokratisierung, die ‘Wiedervereinigung’, die Entwicklung zur Migrationsgesellschaft und die Herausforderungen der Corona-Pandemie sind ohne den aktiven Beitrag der Zivilgesellschaft nicht zu verstehen.

Text: Udo Hahn (Theologe und Akademiedirektor), Sabine Löcker (AEEB)
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