Christlich-Islamischer Dialog – Vertrauen bilden

Geht der Blick für den Islam als gelebte Alltagsreligion verloren? Wie steht es um die Verständigung der christlichen Kirche mit dem Islam und was ist für die Zukunft wichtig? – Über diese und andere spannende Fragen sprach AEEB Vorstand Prof. Dr. Hans Jürgen Luibl mit Kirchenrat Dr. Rainer Oechslen, der seit 2007 Beauftragter für interreligiösen Dialog und Islamfragen in der ELKB ist. 

AEEB: Mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ist für mich persönlich der politische Islam mit aller Gewaltbereitschaft präsent geworden. In den Medien hat sich dieses Bild verstärkt, wie sich überhaupt religiös infizierte Gewalt generell auszubreiten scheint. Wie sehen Sie das?

Dr. Rainer Oechslen: Das Verständnis für Religion in den Medien ist in den letzten 20 Jahren geringer geworden. Auch das Christentum kommt schlechter weg, – man denke nur daran, wie die katholische Kirche auf sexuellen Missbrauch reduziert wird. Ich würde folgende These aufstellen: Wer vom Christentum nichts versteht, versteht auch vom Islam nichts. – Die Folge ist, dass der Islam nur als politisches Phänomen gesehen wird.

AEEB: Durch Politisierung und mediale Emotionalisierung von Religion sind Muslime neuen Belastungen ausgesetzt und es geht oft der Blick für den Islam als gelebte Alltagsreligion verloren. Was wäre zu tun, um die Alltagsreligion Islam wieder verstärkt in den Fokus zu rücken?

Oechslen: An dieser Stelle muss ich meine Antwort auf Ihre vorherige Frage modifizieren: Es gibt immer wieder Medienbeiträge, die muslimisches Leben beleuchten, sei es über das Fasten im Ramadan oder über islamische Feiertage. Nur gehen diese Darbringungen in der allgemeinen Informationsflut häufig unter. In unserer Dienststelle haben wir zum Beispiel durch die neue Online-Reihe “DialogverNETZt” auch in der Coronazeit sehr positive Erfahrungen gemacht. Aber natürlich werden wir nie die Reichweite der Medienmogule erreichen. Wahrscheinlich muss man – wie im Politischen auch – weg von den Großstrukturen und hin zu den lokalen und nachbarschaftlichen Kontakten.

AEEB: Der Islamische Religionsunterricht ist ein wichtiges Element der gelebten Alltagsreligion und ein starker Faktor der religiösen Bildung und Integration. Wie sehen Sie die Beschlüsse der bayerischen Staatsregierung, dass es ab kommenden Schuljahr an rund 350 bayerischen Schulen das Wahlpflichtfach “Islamischer Unterricht” geben wird?

Oechslen: Die erste Lesung der entsprechenden Änderung des Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes im Landtag hat stattgefunden, die zweite steht bevor. Das Gesetz bringt einen Fortschritt, aber vieles ist noch ungelöst. Es fehlen Lehrkräfte, um den “Islamischen Unterricht” flächendeckend einzuführen. In der Oberstufe der Gymnasien ist er bis jetzt gar nicht vorgesehen usw.. – Letztendlich wird eine dauerhafte Lösung nur dann ermöglicht, wenn unser Staatskirchenrecht so geändert wird, so dass auch für muslimische Kinder und Jugendliche ein konfessionellen Religionsunterricht stattfindet.

AEEB: Sind wir als Kirchen gut aufgestellt für den Dialog mit dem Islam in Bayern und Deutschland?

Oechslen: Überregional sind wir gut aufgestellt. Es gibt in jeder Landeskirche Islambeauftragte, in den großen Kirchen jeweils mit einer ganzen Stelle und entsprechender Ausstattung. Die Evangelische Zentrale für Weltanschauungsfragen (EZW) hat zudem eine wichtige Kommunikationsfunktion, allerdings hat sie sich in den letzten Jahren als eine Art „Kontrollbehörde“ verstanden. Wenn der Dialog an die Basis kommen soll, dann muss in den Gemeinden und Dekanaten ein Umdenken geschehen. Dann muss die “Das-sollen-wir-jetzt-auch-noch-machen-Mentalität” aufhören. Doch um den faktischen religiösen Pluralismus – also den eigenen Ort in der Gesellschaft – wahrzunehmen, ist die Kirche zurzeit viel zu sehr mit der Erhaltung ihrer Strukturen beschäftigt.

AEEB: Welche Ideen haben Sie für die Evangelische Erwachsenenbildung? Welche Themen und Arbeitsfelder sollten wir aufgreifen? Und in welcher Form?

Oechslen: Ich wäre schon froh, wenn in allen regionalen Bildungswerken und evangelischen Foren das Thema interreligiöser Dialog wirklich präsent wäre. Ich finde, jede Einrichtung unserer Kirche sollte ein Mindestmaß an Soziologie betreiben, also fragen: Wo sind wir? Wer lebt neben uns und mit uns? Evangelische Erwachsenenbildung steht an der Schnittstelle zwischen den theologischen Diskursen und den kirchlichen Papieren einerseits, dem Alltag der Leute andererseits.

Und: Bisher habe ich in der – sehr angenehmen –  Zusammenarbeit mit der AEEB immer kirchliche Menschen erreicht. Aber mit der religiösen Vielfalt unserer Gesellschaft haben nicht nur Kirchenleute zu tun, sondern auch Lehrer*innen, Polizist*innen, Krankenschwestern und -brüder. Wie erreichen wir die?

AEEB: Wie sieht die Zukunft des interreligiösen Dialoges aus?

Oechslen: Die Religionen werden in unserem Teil der Welt an gesellschaftlicher Bedeutung weiter verlieren. Da lockt der Rückzug in Integralismus und Fundamentalismus. Wir werden also auch im interreligiösen Dialog um innere Pluralität und einen angemessenen Weltbezug kämpfen müssen. – Ich danke für das Gespräch und das Engagement der evangelischen Bildungsarbeit für den christlich-muslimischen Dialog und hoffe, dass wir in absehbarer Zeit wieder eine gemeinsame Fortbildung im Rahmen der AEEB anbieten können!

Text: Prof. Dr. Hans Jürgen Luibl
Foto:
Gert Altmann auf pixabay

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