(Biblische) Theologie ist stets ein Kind ihrer Zeit

Was eigentlich steckt hinter dem altgriechischen Begriff Theologie (von θεός theós übersetzt „Gott“ und λόγος lógos „Wort, Rede, Lehre“)? Und welche Rolle spielen wissenschaftliche Erkenntnisse und Erklärungen zur Bibel für die Evangelische Erwachsenenbildung? – Lesen Sie dazu hier einen Bericht von Dr. Anni Hentschel (Pfarrerin, Direktorin Rudolf-Alexander-Schröder-Haus Würzburg, Privatdozentin für Neues Testament am Fachbereich Evangelische Theologie der Uni Frankfurt und Lehrbeauftragte am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik an der Uni Würzburg; Mitglied im AEEB Aufsichtsrat).

Der Begriff “Theologie” für die “Rede von Gott” stammt aus der griechischen Philosophie, in der man sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit den Göttern bzw. dem Göttlichen befasst hat. Die biblischen Texte reden zwar von Gott, aber nicht von Theologie. Als der Begriff in der Alten Kirche aufkam, bezeichnete er zunächst die christliche Gottesverkündigung, später umfassender die christliche Lehre. Die Übereinstimmung von kirchlicher Lehre und biblischer Botschaft wurde lange Zeit vorausgesetzt, bis in der Reformationszeit das Vertrauen in die Institution Kirche und ihre Tradition in eine Krise geraten ist. Reformatoren wie Martin Luther setzten deshalb ganz auf die Bibel, sie allein sollte normative Grundlage für den christlichen Glauben sein. Dies führte zu einer verstärkten Bibelforschung. Während man anfangs grundlegende kirchliche Lehrinhalte in den biblischen Texten bestätigt sah, zeigten sich mit der Zeit immer deutlicher die Unterschiede.

In der Epoche der Aufklärung etablierte sich die exegetische Forschung als eigenständige theologische Disziplin an den Universitäten. Sie war von der Zuversicht bestimmt, sowohl den historischen Jesus und seine Botschaft als auch die historischen Verhältnisse und die theologische Wahrheit in den biblischen Texten zuverlässig erforschen zu können. Die vom sogenannten ‚historischen Jesus‘ und seiner Lehre rekonstruierten Bilder zeigten meist einen Jesus, dem die Ethik wichtig war und der sich vom – als überholt betrachteten – Judentum diametral unterschied. Die Jesusvorstellungen entsprachen den Erwartungen der Forschenden. Im Rückblick kann das nicht überraschen. Schließlich lautete ein methodisches Kriterium, dass nur das als gesichert historisch gelten könne, was sich in der Überlieferung von Jesus weder aus dem Judentum noch aus den frühen Gemeinden erklären ließ. Auch die wissenschaftliche Theologie ist stets ein Kind ihrer Zeit!

Der Glaube an die Zuverlässigkeit wissenschaftlicher Forschung ist nicht nur in der Theologie, sondern auch in den Geschichts- und Naturwissenschaften einer bescheideneren Perspektive gewichen. Die menschliche Erkenntnisfähigkeit ist begrenzt. Deshalb können auch wissenschaftliche Analysen keine unfehlbaren Ergebnisse liefern. Verstehen und Deuten geschieht stets unter den geschichtlichen und damit immer vorläufigen Bedingungen der jeweiligen Zeit und Perspektive. Auf der Grundlage einer solchen sachgemäßen Bescheidenheit kann die Bibelwissenschaft Raum geben, Fragen zur Bibel zu stellen, Hintergründe mit Hilfe aktueller Methoden zu erforschen und mögliche Antworten zu diskutieren. Die verschiedenen Interpretationen der Wissenschaftler*innen sind in einer pluralen Welt ebenso mit Respekt zu behandeln wie die fremde Stimme der biblischen Texte und die vielfältigen Interpretationen der christlichen oder auch nicht-christlichen Lesenden der Bibel.

Diese Erkenntnis hat einen eminent ideologiekritischen Charakter. Biblische Theologie gibt es nicht im Singular. Die Texte bieten ein Bedeutungspotential an, das beim Lesen immer wieder neu aktualisiert wird und dadurch (s)einen Sinn erschließt. Die Lesenden oder Lesegemeinschaften wirken mit bei der Entstehung von Sinn. Wenn ein biblischer Text und die Gegenwart der Lesenden miteinander ins Gespräch kommen, eröffnen sich immer wieder neue Horizonte für das Gottes- und Glaubensverständnis. Was diese hermeneutisch-theologischen Erkenntnisse zur Bibel als Heilige Schrift für evangelische Bildungskontexte, aber auch für den ökumenischen und interreligiösen Dialog bedeuten, ist eine spannende und herausfordernde Frage. Nur andeutungsweise können hier einige Aspekte für die Evangelische Erwachsenenbildung genannt werden, die an der Schnittstelle zwischen den wissenschaftlichen Diskursen, kirchlichen Veröffentlichungen und dem Alltag der Menschen steht.

Bildungsveranstaltungen zur Bibel bzw. zur biblischen Theologie können – ganz im Sinne Martin Luthers – dazu ermutigen, Bibeltexte selbst zu lesen, ihr Wirklichkeits- und Glaubensverständnis zu erkunden und darin Neues für das eigene Wirklichkeits- und Glaubensverständnis zu entdecken. Dass dabei auch in der Kirche etablierte Überzeugungen auf den Prüfstand kommen, ist zutiefst protestantisch. Dass Jesus mit seiner Botschaft ein Jude im Kontext eines vielfältigen Judentums war, der keine eigene Religionsgemeinschaft gründen wollte, und dass sich auch die entstehenden Gemeinden wahrscheinlich bis ins dritte Jahrhundert als jüdische Gemeinschaften verstanden, ist gerade auch angesichts des aktuell wieder erstarkenden Antisemitismus exegetisch und theologisch zu berücksichtigen. In einer weltanschaulich und religiös pluralen Gesellschaft hat der Appell Martin Luthers, dass alle Menschen die Befähigung und die Möglichkeit erhalten sollen, Bibel zu lesen und ihre Bedeutung für den Glauben, für die Kirche und für die Gesellschaft eigenständig und kritisch zu reflektieren, seine Gültigkeit und Relevanz nicht verloren.


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Foto: conger auf pixabay

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